Wirkungsvolle Jugendhilfe Hamburg

Sonntag, 3. Juni 2012

Bündnis Kinder- und Jugendhilfe für Professionalität und Parteilichkeit / Stellungnahme zur Ministerkonferenz in Hannover am 31.05.2012

Wir sind ein Bündnis, das sich aus Fachkräften von der Basis der bundesdeutschen Kinder- und Jugendhilfe, Vertretern aus Forschung und Lehre, von verschiedenen Initiativen, Berufsverbänden und Gewerkschaften zusammensetzt. Uns eint der Wille, den fachpolitischen Diskurs und die fachliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe als eine selbstverständliche Aufgabe unserer Profession zu verstehen und umzusetzen.
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass auch wir diese Aufgabe offenbar zu sehr vernachlässigt haben, sodass folgende Problemkonstellation eingetreten ist:

Andere Interessengruppen, wie Verwaltungsfachwirte, Kommunal- und Landespolitiker, sowie Ökonomen und speziell Betriebswirtschaftler haben die Profession der Sozialen Arbeit übergangen und im Zuge der neoliberalen Umsteuerung von Staat und Gesellschaft nach und nach die Gestaltungsinitiative in der Kinder- und Jugendhilfe übernommen. Sie haben Konzepte und Strategien aus ihren jeweiligen Bereichen hineingetragen, die weder der Ethik unseres Fachbereiches, noch für dessen nachhaltige Entwicklung dienlich waren. Weder die bisherigen Ergebnisse dieser fremdbestimmten Kinder- und Jugendhilfepolitik, noch die bestehenden Umsteuerungspläne (exemplarisch sei hier das Modell der sog. „verlässlichen Jugendhilfe“ in Hamburg genannt) tragen zu einer substantiellen Hilfe und Unterstützung für Kinder und Jugendliche und ihre Familien bei. Im Gegenteil laufen Eltern und Kinder Gefahr, ihre Rechtsansprüche auf fachliche Hilfe in einer problematischen Situation, wenn überhaupt, dann nur noch bedingt und unter erheblichen Erschwernissen in Anspruch nehmen zu können. Was ihnen bleibt, ist ein ausgedünntes und nicht mehr am Individuum orientiertes Hilfeangebot, das oft genug nicht einmal kurzfristige Hilfe bietet, ganz sicher aber nicht zu einem tiefgreifenden Anstoß eines positiven Entwicklungsprozesses beiträgt.

Insbesondere wird nach diesem Konzept eine notwendige Hilfe zur Erziehung verweigert, indem hierfür andere Bereiche der Jugendhilfe herangezogen werden, die dafür nicht geeignet sind, weil sie andere Aufgabenschwerpunkte verfolgen. Das ist ein klarer Rechtsbruch, denn nach dem SGBVIII besteht ein individueller Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung „… wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist … „.
Das ist aus unserer Sicht unverantwortlich und inakzeptabel. Darüber hinaus erscheint diese Vorgehensweise uns auch volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, da die mittel- und langfristigen Kosten einer derart kurzsichtigen Jugendhilfepolitik erheblich sein werden.

Die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe stehen in der Praxis aufgrund dieser Fehlpolitik immer öfter vor unlösbaren Aufgaben und Arbeitssituationen. Sie müssen vor dem Hintergrund komplexer werdender Problemlagen junger Menschen und ihrer Familien den daraus resultierenden hohen und wachsenden Bedarfen mit knappen personellen Ressourcen begegnen. Dabei findet unter den zunehmenden ökonomischen Zwängen und eines marktorientierten Wettbewerbs das Fachkräftegebot immer weniger Beachtung. Auch die Arbeitsverträge werden nur noch selten so gestaltet, dass sie den fachlichen Erfordernissen einer an Kontinuität und Verlässlichkeit orientierten Beziehungsarbeit gerecht werden können. Eine solche Jugendhilfe folgt in ihrer Planung, Umsetzung und Evaluation allein Aspekten der Kontrolle und der ökonomischen Wirkungsorientierung. Diese lehnen wir entschieden ab.
Unser Bündnis fordert deshalb die Politik in Bund, Ländern und Kommunen auf, sich im Hinblick auf die Weiterentwicklung wieder auf die Fachexpertise derjenigen auszurichten, die diese Arbeit professionell konzeptionieren, gestalten, evaluieren und in Forschung und Lehre wissenschaftlich fortentwickeln.

Unser Bündnis setzt sich für eine Kinder- und Jugendhilfe ein, die:

  • auf dem Grundprinzip der kontinuierlichen Beziehungsarbeit basiert,

  • sich am Subjekt orientiert, dialogisch und partizipativ ausgerichtet ist, dem Credo der „Hilfe zur Selbsthilfe“ und, wo Eltern mit ihren Kindern in Krisen an den Rand ihrer Möglichkeiten geraten, einer „Hilfe zur Selbstkontrolle“ (Biesel, 2011) folgt,

  • konsequent an der Umsetzung des geltenden SGB VIII orientiert ist,

  • eine verlässliche und nachhaltige finanzielle Ausstattung der fachlichen Erfordernisse ermöglicht und garantiert,

  • der Einhaltung des Fachkräftegebotes folgt,


  • den Kinderschutz in dem o.g. Sinne definiert, der die Eltern in ihrer Verantwortung belässt und sie zur Umsetzung dieses Schutzes befähigt,

  • gemeinsam mit den Eltern den jungen Menschen als ein Individuum auf seinem Weg zu einer selbstbewussten und selbstverantwortlichen Persönlichkeit unterstützt und begleitet. Damit die Kinder- und Jugendhilfe das leisten kann, muss sie als Gegenüber in ihrem Selbstverständnis und in ihrer strukturellen Ausgestaltung von diesem Geist getragen sein.

Eine solche Kinder- und Jugendhilfe ist nicht zum Nulltarif zu haben. Politik und Gesellschaft, aber auch die Jugendhilfe selbst, sollte sich wieder ihres Wertes und ihrer Bedeutung bewusst werden. Wir erwarten, dass Sie die Professionalität der Berufsgruppe der Sozialarbeitenden in Ihre Debatten einbeziehen.

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